Bis dass der Tod uns scheidet – jetzt für alle! Überlegungen zur Ehe

Ja, ich will? Oder: Nein, besser nicht? Ab 2019 dürfen nun auch Homosexuelle in Österreich diese Entscheidung treffen. Manche jubeln, andere wollten es um jeden Preis verhindern. Manche sehen darin einen Sieg der Liebe, andere den Niedergang einer Institution. Aus gegebenem Anlass einige historische Überlegungen zur Ehe und eine etwas andere Perspektive auf aktuelle Debatten.

Die Möglichkeiten sind heute vielfältig: Sich innig lieben und heiraten. Sich ebenso innig lieben und nicht heiraten. Nicht heiraten und eine Familie gründen. Sich nicht lieben und heiraten. Nicht heiraten, aber eingetragene Partnerschaft. Und jetzt eben auch heiraten und homosexuell sein.
In Letzterem aber sehen manche eine Gefahr für die Institution der Ehe. Dabei stellt sich die Frage: Was ist das eigentlich genau, das in den Augen der Gegner einer „Ehe für alle“ geschützt werden muss?

Eine geschichtsträchtige Institution
Das Konzept der Ehe ist ein sehr altes. Bereits die ältesten bekannten Gesetzestexte behandeln dieses Institution. Und zwar ausführlich, von den 282 im Kodex Hammurabi (eine Sammlung von Rechtssprüchen aus dem 18. Jahrhundert v.Ch., benannt nach dem babylonischen König Hammurabi) überlieferten Gesetzen, befassen sich 73 mit Ehe und Sexualverhalten.

Zwar hatte die Ehe im Laufe der Geschichte leicht unterschiedliche Formen und Bedeutungen, vor allem eines aber unterscheidet Ehe-Konzepte von der Antike bis zum Mittelalter von neuzeitlichen Ehe-Vorstellungen. Eines nämlich war sie jahrhundertelang nicht: Eine Liebessache. Die Idee, dass Liebe und Ehe in irgendeiner Form miteinander zu tun haben könnten ist historisch betrachtet ein sehr junges Phänomen. Was heute selbstverständlich erscheint – Liebe als Bestandteil, ja als essentielle Voraussetzung einer Ehe – wäre früher eine überaus befremdliche Vorstellung gewesen.

Rein geschäftlich
Christentum und katholische Kirche hatten schon seit ihrer Entstehung sehr klare Moralvorstellungen in Bezug auf die Ehe: Monogamie, Unauflösbarkeit der Ehe und kirchliche Heirat gehören bis heute zur katholischen Doktrin. Allerdings: Bis ins späte Mittelalter, zum Teil bis in die Neuzeit hinein, war die Ehe in Europa eine rein weltlich-wirtschaftliche Angelegenheit. Bis dahin wollte es der Kirche nicht gelingen, ihre Machtansprüche über die Ehe durchzusetzen. 
Ehen wurden an öffentlichen Gerichtsstätten oder auch im Wirtshaus geschlossen und durch Sex besiegelt. Durch den ersten ehelichen Beischlaf wurde der Ehevertrag gültig: „Ist das Bett beschritten, ist das Recht erstritten“. Priester waren höchstens anwesend um ihren Segen dazuzugeben.
Die Ehe, ein Geschäft. Die Braut, das Handelsobjekt. Die Heirat, ein Vertrag zwischen den Familien der zukünftigen Ehepartner, der jederzeit aufgelöst werden konnte. Auch die Partnerwahl bestimmte die Familie. Sympathie oder gar Liebe waren dabei kein auschlaggebendes Motiv. Entscheidend waren soziale und ökonomische Überlegungen, wie die Versorgung der Angehörigen, die Weiterführung der Wirtschaft oder des Familiengeschlechts.

Sobald eine Frau verheiratet war, war es ihr verboten ihr Haar offen zu tragen. Das als erotisch und aufreizend geltende offene Haar war nun dem Gatten vorbehalten. In der Öffentlichkeit musste es geflochten und verdeckt sein. Die Frau war „unter die Haube gekommen“, wie man auch heute noch so schön sagt.

Weniger zum weitverbreiteten Bild des prüden Mittelalters passt eine andere, damals durchaus geläufige Sitte: Die „Probenacht“.
Da die Fortpflanzung ein wesentlicher Zweck der Ehe war, galt es sicherzustellen, dass die zukünftigen Ehepartner diesbezüglich kompatibel waren. Dazu gab es die Möglichkeit der „Probenacht“. Diese konnte beliebig oft wiederholt werden. Erst wenn die Frau schwanger war, musste geheiratet werden. Anstößig oder unsittlich wurde diese Sitte dabei nicht empfunden.

Geliebte und Mätressen
Auch für den Hofadel des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit war die Ehe eine Vernuftsbeziehung. Ja, es wurde sogar davor gewarnt es mit ehelicher Liebe zu übertreiben oder gar aus Liebe zu heiraten. Auch die Liebe hatte ihren Platz, aber der war ganz klar außerhalb der Ehe. Geliebte und Mätressen waren eine Selbstverständlichkeit und gehörten gewissermaßen zum guten Ton. Einer adeligen Frau ohne Geliebten mangelte es offenbar an Schönheit, einem adeligen Herrn ohne Mätresse an Potenz oder Geld.

Eine neuartige Idee
Im 18. Jahrhundert kam schließlich eine revolutionäre Idee auf: Der Gedanke, dass die Ehe (auch) eine „Gemütsbeziehung“ sei. Dass Liebe und Ehe in Zusammenhang stehen, ja, dass Liebe sogar das ausschlaggebende Motiv einer Ehe sein könne. Langsam setzte sich dieses Konzept immer weiter durch. Ausgehend von einem kleinen, privilegiert-bürgerlichem Kreis, übernahmen im Laufe des 19. Jahrhunderts zunehmend alle Gesellschaftsschichten diese Idee.
Dieses neue Ehe-Modell brachte aber nicht nur neue Freiheiten mit sich, sondern auch neue Regeln und Pflichten: Nun war nicht nur jedermann und jederfrau zur Eheschließung berechtigt, nein, man (und frau) war dazu gewissermaßen verpflichtet. Heirat wurde zur biographischen Selbstverständlichkeit; Besser nicht heiraten war keine gesellschaftlich akzeptierte Option. Die wechselseitige Liebe war nunmehr verpflichtender Bestandteil der Ehe. Damit einher ging die moralisch-sittliche Abwertung außerehelicher Beziehungen (wobei hier für Männer und Frauen durchaus unterschiedlich strenge Moral-Maßstäbe angelegt wurden). Kinder gehörten obligatorisch zur Ehe, erst in der Elternschaft fand sie ihre Vollendung.

Golden Age of Marriage
Seine Hochblüte erlebte das Modell der modernen bürgerlichen Kleinfamilie in den 50er und 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts – dem sogenannten Golden Age of Marriage.
Das Leit- und Idealbild: Eine lebenslange, monogame Ehe mit ca. zwei Kindern. Eine Norm die von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung unhinterfragt gelebt wurde. Die Ehefrau/Mutter war zuständig für Haushalt und emotionale Bedürfnisse der Familie, der Vater war Autoritätsfigur und Ernährer.
Zur Propagierung und Etablierung dieser Vorstellung trugen vor allem auch politische Parteien und die katholische Kirche bei. Offenbar mit Erfolg: Anfang der 1960er Jahre hielten 9 von 10 befragten Männern und Frauen die Ehe für „grundsätzlich notwendig“. Männer wie Frauen empfanden, einer anderen Studie zufolge, eine Berufsarbeit der Frau als „vorübergehendes, notgedrungenes, von außen auferlegtes Miterwerben“.

Vielfältige Möglichkeiten
Was also heute von manchen als ursprüngliches und „schützenswertes“ Ehe-Modell propagiert wird, ist ein verhältnismäßig junges Konzept – das sich außerdem als ziemlich kurzlebig erwies. Schon ab den 1970er Jahren begann dieses Leitbild als gesellschaftliche Norm zu erodieren: Die Institution der kirchlichen und weltlichen Ehe verlor zunehmend ihren Verpflichtungscharakter, sie ist nicht länger verbindlicher oder selbstverständlicher Teil des Lebens. Die Frauen gewannen an Freiheiten, Rechten, Möglichkeiten und Unabhängigkeit. Seit einer Reform der Ehegesetze im Jahr 1975 gelten auch in Österreich beide Partner als gleichberechtigt in der Ehe.
Flexiblere und informellere Partnerschafts-Modelle bieten Alternativen zur Ehe. Heiratet man doch, sind Kinder nicht länger eine gesellschaftliche Verpflichtung. Bereut man (oder frau) die Entscheidung zur Ehe früher oder später, ist die Scheidung kein gesellschaftliches Stigma mehr.
Diese Entwicklungen spielen sich auch in statistischen Erhebungen wider: In den meisten europäischen Ländern gingen die Heiratsraten seit den 1970er Jahren drastisch zurück, während zugleich Scheidungsraten markant anstiegen.

„Ehe für alle“?
Wie dieser kurze, schlaglichtartige Streifzug durch die Geschichte zeigt, sind unsere heutigen Vorstellungen von Paarbeziehung und Ehe nur weitere historische Variationen.
Warum also nicht auch die Variante Ehe zwischen Homosexuellen? Sieht man, gewissermaßen in mittelalterlicher Tradition, die Funktion der Ehe rein in der Fortpflanzung, ist das Argument schlüssig, dass die Ehe zwischen Homosexuellen wenig Sinn macht. Versteht man die Ehe aber als Bündnis zwischen zwei sich liebenden Menschen, muss die Argumentation eine gänzlich andere sein.
Offen bleibt dabei auch die Frage, warum gleichgeschlechtliche Ehen zu einer „Aufweichung familiärer Strukturen“ führen soll. Betrachtet man die gegenwärtige Situation genauer, zeigt sich doch sehr deutlich, wie bunt und vielfältig diese Strukturen heute ohnehin sind.

Die hier kurz umrissene Geschichte der Ehe verdeutlicht aber noch etwas: Sie war nie eine private Angelegenheit. Stets gaben Politik, Religion und Gesellschaft Regeln und Normen vor. Immer wieder ringen unterschiedliche Denkweisen und revitalisierende Machtinteressen um die rechtliche und moralische Vorherrschaft über diese Institution. Ein Phänomen das auch heute, angesichts der aktuellen Debatte, eindrucksvoll zu beobachten ist. 

Lektüre zum Thema:

  • Reinhard Sieder, Sozialgeschichte der Familie. (Frankfurt am Main 1987)
  •  Rüdiger Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel. (Wiesbaden 2008).
  •  www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/bevoelkerung/index.html

 

Martina Nothnagel