Gleichheit für alle (Geschlechter)? - Nordisches Glück und österreichische Tristesse

Frau oder Mann, Mutter oder Vater, das macht einen riesigen Unterschied. Ungleiche Rollen, ungleiche Aufgaben, ungleiche Rechte, ungleiche Möglichkeiten. In Österreich hat diese Ungleichheit lange Tradition – und offenbar auch eine rosige Zukunft. Das geht auch anders: Die skandinavischen Länder machen es seit Jahrzehnten vor – zum Vorteil von Frauen und von Männern.

Gleichheit (der Geschlechter) und die Politik
Seit dem 19. Jahrhundert wird (hierzulande) mit der Natur begründet, was in Wirklichkeit allein gesellschaftlich bedingt ist: Die Vorstellung davon, was Frauen- und was Männersache ist. Haushalt und Mutterschaft als Frauensache, Karriere und finanzielle Versorgung der Familie als Männersache – diese Rollenbilder sind auch heute keineswegs Vergangenheit.
Natürlich hat sich viel verändert in den letzten hundert Jahren, zu einer tatsächlichen Gleichstellung von Mann und Frau ist es allerdings immer noch ein langer Weg. Vor allem in Österreich stehen die Zeichen zurzeit auf Rückschritt statt auf Fortschritt. Denn: Die Emanzipation aus überholten Rollenbildern ist immer auch Sache der Politik. Regelungen der Elternkarenz, Angebote an öffentlichen Kinderbetreuungseinrichtungen, Gehaltsdifferenzen zwischen den Geschlechtern, steuerliche Regelungen, Pensionsregelungen – all diese politisch geschaffenen Rahmenbedingungen können Geschlechtergleichheit möglich machen oder aber Ungleichheit zementieren.
Um zu sehen wie gleiche Chancen für Männer und Frauen möglich gemacht werden können – und seit Jahrzehnten möglich gemacht werden – empfiehlt sich ein Blick in den Norden. 

Die skandinavischen Länder Dänemark, Schweden, Norwegen, Finnland und Island gelten – zu Recht – als internationale Vorreiter und Vorbilder in Sachen Geschlechtergleichheit. Zwar herrscht auch dort keine völlige Gleichheit, auch hier gibt es aus Sicht vieler Skandinavier_innen noch einiges an Verbesserungsbedarf. Von außen betrachtet aber erscheinen die Zustände dort geradezu paradiesisch. Was in Österreich heute noch Realität ist, ist in den nordischen Ländern seit langem Vergangenheit.

Der lange Weg zur (Un-)Gleichheit
Die uns allen so vertrauten „traditionellen“ Geschlechterrollen haben ihre Wurzeln im späten 19. Jahrhundert. In Österreich bedeutete das für Frauen eingeschränkte Bildungsmöglichkeiten und Berufschancen, Abhängigkeit der Ehefrau vom Ehemann.
Die nordischen Länder hingegen folgten schon damals anderen Idealen. Geschlechtergleichheit – auch im Sinne von formalen Rechten – ist dort seit dem späten 19. Jahrhundert ein gesellschaftliches und politisches Ziel.

Was das konkret bedeutet, veranschaulicht zum Beispiel das Eherecht: Zwischen 1909 und 1929 wurde in allen nordischen Staaten das Eherecht grundlegend reformiert. Ehefrauen und Ehemänner waren nunmehr in allen rechtlichen und ökonomischen Angelegenheiten gleichgestellt. Sie waren also beispielsweise gleichberechtigte Eigentümer des gemeinsamen Vermögens. Beide hatten außerdem die gemeinsame Verantwortung für Hausarbeit, Kindererziehung und finanzielle Versorgung der Familie.
Was auf den ersten Blick unspektakulär klingen mag, bedeutet tatsächlich nichts anderes, als, die rechtliche Abschaffung geschlechtertypischer Rollen von weiblicher Hausarbeit und männlichem Ernährer schon in den 1930er Jahren.

In anderen europäischen Ländern fand eine Modernisierung des Eherechts erst in den 1960er Jahren statt. In Österreich gar erst zwischen 1975 und 1978. Erst seit damals ist die Ehe auch hier von Gesetzes wegen eine gleichberechtigte Partnerschaft. Auch das ist bemerkenswerter, als es zunächst klingen mag. Bedeutet es doch, dass hierzulange beispielsweise bis in die 70er Jahre der Ehemann das Recht hatte, seiner Frau die Berufstätigkeit zu verbieten.

Kind oder Karriere?
Gleichheit bedeutet in erster Linie immer auch die Möglichkeit wirtschaftlicher Unabhängigkeit. Mit anderen Worten: Ist die Entscheidung für Familie und Kinder gleichbedeutend mit einer Entscheidung gegen mehr als nur ein marginales Berufsleben, dann kann es mit der Gleichheit nicht weit her sein.

Männer und Frauen, Mütter und Väter sollen ihren Lebensunterhalt selbst verdienen dürfen, sollen unabhängig sein können, sollen gleichermaßen zum Erhalt einer Familie beitragen können. So sah bereits in den 30er Jahren das Ideal der Skandinavier aus. Ein Ideal, dass im krassen Gegensatz zur österreichischen Vorstellung von der Frau am Herd und hinter dem Kinderwagen stand (steht).
Zu welch unterschiedlichen politischen Maßnahmen – und gesellschaftlichen Folgen – diese gegensätzlichen Ideale führten, zeigt der Umgang mit einer Krise, die Österreich und Skandinavien gleichermaßen betraf: In den 1960er Jahren herrschte in zahlreichen mitteleuropäischen Ländern ein akuter Mangel an Arbeitskräften. In Österreich (aber auch in anderen Ländern, wie etwa Deutschland) suchte man die Lösung im Ausland. Zusätzliche Arbeitskräfte wurden aus dem Ausland angeworben – die sogenannten Gastarbeiter, die im Übrigen fast allesamt Männer waren. Die nordischen Länder hatten das gleiche Problem, aber eine andere Lösung: Sie forcierten die Integration von Frauen – insbesonders von Müttern – in den Arbeitsmarkt. Und schafften es so, was gesetzlich seit Langem verankert war, auch in der Praxis Normalität werden zu lassen.
Seit den 1960er Jahren weisen die skandinavischen Staaten international sensationell hohe Beschäftigungsquoten von Frauen auf. Das „Zweiverdiener-Modell“ ist Alltag, und zwar nicht nur für junge Paare, sondern auch für Eltern von Kinder aller Altersstufen. Dänemark kann im europäischen Vergleich die höchste Frauenerwerbsquote vorweisen, verzeichnet zugleich aber auch die höchsten Geburtenraten. Gleichbehandlung muss also nicht auf Kosten der Familie gehen.

In Österreich ist der Versuch, Kind und Karriere zu vereinbaren bis heute ein harter Kampf. Der politische Wille, ihn zu erleichtern, fehlt. Natürlich wurde auch hier – vor allem in den 1970ern – viel für die weiblichen Bürgerinnen getan. Vor allem aber in ihrer Rolle als Mutter. Der Ausbau des Mutterschutzes in den 1970er Jahren oder die Umwandlung von Karenzgeld in Kinderbetreuungsgeld 2002. Durch Maßnahmen wie diese wurden Frauen in erster Linie als Mütter betrachtet, behandelt und gefördert – als Arbeitnehmerinnen und unabhängige Individuen damit aber zugleich behindert. Die Realität für berufstätige Mütter heißt auch heute noch meist Doppelbelastung und nicht partnerschaftliche Gleichheit. Dass viele Frauen das nicht stemmen können oder wollen, zeigen auch die Zahlen: Die höchste Erwerbsbeteiligung von Frauen liegt hierzulande in der Altersgruppe von 25 bis 29 Jahren.

Österreicherinnen an den Herd?
Die nahe Zukunft verspricht keine Besserung. Gemäß dem konservativen Frauenbild der derzeitigen Regierung wird die Geschlechtergleichheit hierzulande wohl auch in den nächsten Jahren zu kurz kommen. Einmal mehr zählt die Frau (nur) als Mutter. Anstelle von weiteren Fortschritten in Richtung Gleichbehandlung geht es dieser Tage hurtig rückwärts im Sinne einer "Frauen-zurück-an-den-Herd-Politik".
Der jüngste Versuch, staatliche Fördermittel für Kindergärten zu kürzen, ist eines von zahlreichen Beispielen dieser Politik. (Auch wenn dieses Vorhaben letztlich am Widerstand der Bundesländer scheiterte). Es ist auch ein weiteres Beispiel für den eklatanten Unterschied zum europäischen Norden. Dort wurde das staatliche Kinderbetreuungssystem bereits in den 60er Jahren massiv ausgebaut um Müttern (die Skandinavier würden sagen, Eltern) die Erwerbstätigkeit zu erleichtern. Ganztageskindergärten und -Schulen sind hier seit Jahrzehnten eine Selbstverständlichkeit. Die Qualität des Bildungssystems hat darunter nicht gelitten, schließlich gelten die nordischen Länder auch diesbezüglich als internationale Vorbilder

Für alle
Wer nun aber meint, Geschlechtergleichheit gehe ohnehin nur eine (sprich die weibliche) Hälfte der Bevölkerung etwas angeht, der irrt: Gleichheit bedeutet gleiche Rechte, Möglichkeiten und Freiheiten für alle. Es geht um Entscheidungsfreiheiten – für alle.
Vielleicht möchte auch ein österreichischer Vater Anteil am Aufwachsen seiner Kinder haben. Vielleicht möchte auch ein österreichischer Vater nicht Vollzeit plus Überstunden arbeiten müssen, um die Familie zu erhalten. Vielleicht möchte auch ein österreichischer Vater gleiche Rechte (etwa im Falle einer Trennung) an seinen Kindern haben.
Gleichheit bedeutet nicht nur mehr Rechte für Frauen: Es bedeutet gleiche Möglichkeiten und Rechte für alle. Nicht umsonst ist in Skandinavien in diesem Zusammenhang schon seit Jahrzehnten nicht mehr von „Frauenrechten“, sondern von „Gleichstellung“ die Rede.

Lektüre zum Thema:

  • Christina Carlsson Wetterberg/Anna-Birte Ravn/Kari Melby, Gender Equality and Welfare Politics in Scandinavia. The Limits of Political Ambition? (Bristol 2009).
  • Ingrid Mairhuber, Geschlechterpolitik im Sozialstaat Österreich seit Anfang der 80er Jahre. In: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft, Heft 1/1999, 35-47.
  •  The Global Gender Gap Report. World Economic Forum 2017.

 

Martina Nothnagel