Sanft verführt, schonungslos entblößt? – Zur Geschichte der Werbung oder was unsere Werbung über uns aussagt

Freiheit auf vier Rädern; Schönheit aus der Cremedose; sofortwirksame Lebensfreude in der Flasche – einfach glücklicher, attraktiver, besser? Können wir haben, dafür müssen wir bloß: Kaufen. Und wer sagt uns, was wir (dazu) kaufen müssen? Das tut die Werbung. Sie ist allgegenwärtig, ist selbstverständlicher Teil unseres Alltags. Wie aber ist es dazu gekommen? Was erzählt uns ein Blick auf die Geschichte der Werbung? Und, was erzählt unsere Werbung über uns?

Mächtig und allgegenwärtig
Wie auch immer man dazu stehen mag – egal ob man Werbung als essentiellen Teil der freien Marktwirtschaft, als notwendiges Wirtschaftsinstrument, als Kunstform, als kapitalistisches Manipulationswerkzeug und Symptom einer sinnentleerten Konsumgesellschaft sieht – Fakt ist: Sie ist heute nahezu immer und überall. Werbung ist nicht mehr wegzudenken, aus unserer Wirtschaft, aus unserem Leben. Sie lockt von Plakaten, bezirzt aus dem Fernseher, überschwemmt unsere (realen wie digitalen) Briefkästen, lacht uns fröhlich auf unserer Facebook-Seite entgegen. Etwa 4 000 Werbebotschaften buhlen tagtäglich um unsere Aufmerksamkeit, die dahinterstehende Werbeindustrie ist ein milliardenschweres Geschäft.
Fakt ist auch, Werbung hat große Macht; wirtschaftliche Macht, psychologische Macht. Sie beeinflusst nicht bloß unser Konsumverhalten, bedient sich nicht allein unserer Träume, Ideale und Selbstbilder. Sie formt diese auch.

In Asche konserviert
Aber seit wann ist das so? Seit wann gibt es Werbung? Die Antwort auf diese Frage ist etwas komplex und letztlich Definitionssache. Versteht man unter Werbung, „geplante Kommunikationsprozesse, bei denen arbeitsteilig, durch die entgeltliche Produktion und Distribution von Medienangeboten Mitglieder unterschiedlicher Zielgruppen beeinflusst werden sollen“, dann ist Werbung ein relativ junges Phänomen. Versteht man Werbung aber im weitesten Sinn als kommunikatives Mittel zur Absatzförderung, dann hat die Werbung eine jahrtausendealte Geschichte.

Ein einzigartiges Beispiel dafür verdanken wir einer Katastrophe:  Im Jahr 79. n. Chr. kochte der Vesuv über. Die zu seinen Füßen gelegene römische Stadt Pompeij wurde innerhalb weniger Stunden von Asche und Lavaströmen begraben – und auf einzigartige Weise konserviert.  Erhalten geblieben ist dabei auch antike Werbung. Mitteilungen, meist in roter Schrift, auf Hauswände oder extra dafür aufgestellte weiß getünchte Wände gepinselt, werben für Schmiede, Wirte, Tuchfabrikanten oder Politiker (ja, auch Wahlwerbung ist ein altes Phänomen). Insgesamt 1 600 solcher Mitteilungen fanden sich in dieser, damals eigentlich unbedeutenden, Provinzstadt.

Die Anfänge der heutigen Werbung, der modernen Werbeindustrie aber liegen in einer sehr viel jüngeren Zeit. Sie datieren in die Mitte des 19. Jahrhunderts. Spätestens in den 1920er Jahren war die Werbung fixer Bestandteil der Alltagswelt geworden, erreichte sie hundertausende Menschen.

Kapitalismus
Stellt sich die Frage: Warum genau seit dieser Zeit? Die Antwort ist einfach: Weil Werbung erst damals auf diese Weise nötig wurde.
1859 führte man im Habsburgerreich die Gewerbefreiheit ein, die Zeit der Zünfte war zu Ende, ihre Macht vergangen. Zugleich wurden im Zuge der Industrialisierung bislang ungekannte Massen an Gütern hergestellt. Produzenten und Händler mussten sich nunmehr eigenständig um Absatz kümmern, mussten Konkurrenz ausstechen. Damit waren jene Gegebenheiten geschaffen, unter welchen es unabdinglich scheint Waren (oder auch Dienstleistungen) gezielt zu bewerben: Freie Marktwirtschaft, Kapitalismus, Konkurrenz, Massenproduktion, enorme Produktvielfalt.

Während also Innovationen und technische Revolutionen zunächst den Bedarf schufen, machten sie den Siegeszug der Werbung aber zugleich auch überhaupt erst möglich. Seit 1846, dem Jahr der Erfindung des Siebdrucks, lockten Werbeplakate nun auch in bunter Farbenpracht. 1855 revolutionierte Ernst Litfaß die (Werbe-)Welt. Ausgehend von Berlin sollte seine Erfindung, die Litfaßsäule (eigens für das Anbringen von Plakaten konzipierte Säulen), bald nahezu auf der ganzen Welt Konsument*innen verführen. Um die Jahrhundertwende schließlich etablierten sich Radio und Kino als allgemeines Freizeitvergnügen – aber auch als Werbeträger.
Aber nicht nur die Werbemedien entwickelten sich beständig weiter, auch Inhalte und Strategien veränderten sich. Werbung wurde immer mehr zur Aufgabe des Herstellers und nicht mehr nur des Händlers. Sie wurde professionalisiert, wurde selbst zu einem eigenen „Unternehmen“. Sie verlangte nach ausgeklügelten Strategien, nach Wissen über Wirkungsmöglichkeiten und Zielgruppen – damit war auch die Werbeforschung geboren.
Es ging mittlerweile um weit mehr als nur ein bloßes „Bekanntmachen“. Genau diesen neuen Anforderungen ist auch eine „Erfindung“ geschuldet, die bis heute das wahrscheinlich zentralste Konzept der modernden Werbung ausmacht: Die Marke.

„No Name“ vs. Marke
Marken(ware) macht den Unterschied in der Massenproduktion. Zahlreiche wissenschaftliche Studien belegen es: Marken beeinflussen unsere Kaufentscheidungen ganz erheblich. Sie schafft Wiedererkennungswert und Identifikationsmuster. Name, Slogan, Design, genormte Verpackungen. Im Dickicht der – Ende des 19. Jahrhunderts vielfältigen, heute unüberschaubaren – Warenangebote bietet die Marke Orientierungshilfe. Man kennt sie, man erkennt sie wieder, vertraut auf Qualität und Kaufzufriedenheit.
Erste Marken, welche die damals innovative Strategie mit großangelegten Werbekampagnen einsetzten – und die wohl auch heute noch jeder kennt – sind beispielsweise: Maggi Suppenwürze (seit 1887), Dr. Oetker Bachpulver (seit 1892), Leibniz Kekse (seit 1892) oder Odol Mundwasser (seit 1893).

Emotionen und Versprechen
Zugleich verheißt die Marke (bzw. das beworbene Produkt) so viel mehr, steht für weit über das eigentliche Produkt hinausgehende Versprechen: Sie steht für Lebensstil, Selbstbild, für Werte und Ideale. Immer mehr wurde die Werbung im Laufe des 20. Jahrhunderts „psychologisiert“. In enger Kooperation mit psychologischer Forschung zielt sie zunehmend auf Emotionen, auf immaterielle Versprechen und „Zusatznutzen“ ab. Coca Cola beispielsweise ist nicht bloß ein erfrischendes Getränk, Cola ist Lifestyle. Ein Audi ist nicht nur ein der Mobilität förderliches Auto, der Audi ist Freiheit, ist elegante Dominanz. Axe bekämpft nicht nur Schweißgeruch, es macht jeden (!) Mann zu einem unwiderstehlichen Frauenmagneten.

Spiegelbilder
Daraus wiederum ergibt sich, im Umkehrschluss, eine spannende Erkenntnis: Wenn  die Werbung unsere Wünsche, Ideale und Werte bedient – so sagt sie damit auch viel darüber aus, wer wir waren, wer wir sind, wer wir sein wollen, welchen Idealen wir folgen. Unsere Werbung ist ein Spiegelbild unserer Kultur, unserer Gesellschaft – gegenwärtig aber auch in der Vergangenheit.

Wie viel sich sozial, politisch aber auch medizinisch verändert hat, zeigt beispielsweise Zigaretten-Werbung. Die heute verpönten Rauchwaren wurden früher noch unbeschwert beworben. Besonders keck scheint heute etwa ein Slogan aus dem Jahr 1946: „More doctors smoke Camels than any other cigarette.”.
Über drei Millionen Hausfrauen sagen: Ich bin verliebt in den Vorwerk-Kobold“, verkündet Vorwerk 1958 um den Staubsauger „Kobold“ zu bewerben. Die verliebten Hausfrauen sollen in ihrem Staubsauger (damals war es noch nicht selbstverständlich einen solchen zu besitzen), einen liebenswerten, treuen Helfer finden. Unschwer ist hier die Emotionalisierung von Werbebotschaften zu erkennen. Die angesprochene Zielgruppe wiederum ist bezeichnend für damals noch geltende geschlechterstereotype Rollen. Der Mann hat offenbar keinen Bedarf an einem Kobold bzw. Staubsauger, die Frau ist nicht nur Frau, nein sie ist Hausfrau.
In die gleiche Scharte schlägt auch die Suppenwürze Maggi in den 50er Jahren. Hier wird die Hausfrau nun in ihrer Funktion als Köchin angesprochen: „Hausfrauen, es ist nie zu spät um zu verbessern“. In Zeiten von Legionen medial gehypter Kochgurus, würde sich außerdem eine gute Hausfrau/ ein guter Hausmann heute wahrscheinlich nicht mehr unbedingt über die reichliche Verwendung von Maggi definieren.
Dass alternde Haut für Frauen schon seit langer Zeit ein Problem ist (zu einem gemacht wird?) wiederum illustriert ein Hautcreme-Werbespruch aus dem Jahr 1936: „Achtung, Sie werden schneller alt als er! – Aber nur Ihre Haut wird sie verraten.“ Heute haben Jugendlichkeitswahn und die Sorge um die richtige Hautpflege längst auch die Männerwelt erreicht. Der Slogan zeigt aber auch, wie sehr die Werbung seit damals an psychologischer Raffinesse zugelegt hat. Heute heißt es – im Sinne positiver Konnotation statt Abschreckung – „jünger aussehen“, statt „schneller alt als er“.
Aber nicht allein Werbebotschaften können Zeitzeugen sein, sondern auch die beworbenen Produkte.  So etwa „Cocaine Toothache Drops“ die 1885 „instantaneous cure“ versprachen. (Auf dem entsprechenden Plakat sind im Übrigen zwei spielende Kleinkinder zu sehen.)

Es zeigt sich also: Werbung gehört seit geraumer Zeit selbstverständlich zu unserem Leben. Und egal wie wir dazu stehen, es ist sicher nicht verkehrt, sie ab und zu auch als das zu betrachten, was sie ist und immer schon war – ein Spiegelbild unseres Lebens, unserer Ängste, Wünsche und Ideale.

Lektüre zum Thema:

  • Rainer Gries, Produktkommunikation. Geschichte und Theorie. (Wien 2008).
  • Thomas Schierl, Text und Bild in der Werbung: Bedingungen, Wirkungen und Anwendungen bei Anzeigen und Plakaten. (Köln 2017).
  • Guido Zustiege, Werbeforschung. (Konstanz 2007).
Martina Nothnagel