Spieglein, Spieglein an der Wand – Ideale der Schönheit und der Kult um den Körper

Hand aufs Herz, wer möchte nicht schön sein? Und wer weiß nicht genau, welche Ideale es dafür zu erreichen gilt? Schlanker, sportlicher, jugendlicher – gebannt von aktuellen Schönheitsidealen, im Angesicht von Körperkult und Schönheitswahn, übersehen wir oft eines: Unser heutiges Verständnis von Schönheit ist keineswegs selbstverständlich. Was heute schön ist, war einst wenig erstrebenswert – und umgekehrt. Aber warum ist was wann schön? Der Versuch einer historisch-kritischen Reflexion zu Macht, Bedeutung und Wesen der Schönheit.

Betrachter und Gesellschaft
Schönheit verheißt Liebe, Anerkennung, Erfolg. Kurz: Von ihr versprechen wir uns Glück.  Aber was heißt schön? Was macht einen Menschen schön?
„Beauty“, stellte der schottische Philosoph David Hume fest, „is no quality in things themselves: It exists merely in the mind which contemplates.” (David Hume, Of the Standard of Taste. [1757]). Schönheit liegt also, wie man sagt, im Auge des Betrachters.
Das ist richtig, ist aber nicht die ganze Wahrheit. Die Frage was schön ist, ist immer auch eine gesellschaftliche. Gesellschaftlich etablierte und vermittelte Schönheitsideale geben vor, was wir als schön empfinden.
Schlank, sportlich, jugendlich; straffer Bauch (Frauen), Sixpack (Männer); glatte Haut, gesunde Bräune; volles, glänzendes Haar; strahlend weiße Zähne. Wir alle stehen – heute möglicherweise mehr als jemals zuvor – unter dem Einfluss dieser übermächtigen Ideale. Auch wenn wir es vielleicht nicht wahrhaben möchten, messen wir Schönheit zuallererst an gesellschaftlichen Maßstäben – bei anderen, aber auch bei uns selbst. Allein, unsere heutigen Maßstäbe sind keineswegs so selbstverständlich, wie sie uns erscheinen mögen.

Schönheit als Spiegel der Gesellschaft
An Bedeutung und Macht von Schönheit hat sich zwar wohl seit Menschengedenken nicht viel geändert (man denke etwa an die Schönheit der Helena, die Homer zufolge, den Trojanischen Krieg auslöste). Immer schon nahmen die Menschen viel Mühe, Kosten, ja manchmal Qualen in Kauf, um sich den gerade aktuellen Idealen anzunähern.
Definitionen von Schönheit aber sind wandelbar und historisch vielfältig. Schönheit ist nicht zeitlos, sie ist abhängig von Epoche, Umständen und Gesellschaft. Gerade vorherrschende Ideale sind Spiegelbilder der jeweiligen Gesellschaft, sie entstehen im Zusammenspiel mit vorherrschenden Lebensbedingungen. Warum also wurde was wann als schön empfunden?

Erstrebenswerte Schönheit, erstrebenswertes Leben
Oft ist es das Seltene und schwer Erreichbare, das als schön und erstrebenswert gilt.
Schlankheit – straffer Körper, geringe Konfektionsgröße –  beispielsweise ist heute, in unserer westlichen Überflussgesellschaft, ein scheinbar unumstößliches Schönheitsideal. Das war aber nicht immer so.
Im Mittelalter etwa war die ideale weibliche Schönheit zwar durchaus schlank (insbesonders eine schmale Taille und kleine, runde Brüste waren wichtig), im Gegensatz zum heutigen Idealbild sollte der Bauch aber eine deutlich abstehende Rundung sein. Was damals erotisch war, wirkt auf uns heute eher schwanger.

Später im 15. bis zum 17. Jahrhundert – eine Zeit, in der Europa immer wieder von Hungersnöten heimgesucht wurde – waren üppige weibliche Formen das Ideal. Ein stattliches Bäuchlein, vielleicht sogar ein Doppelkinn, korpulente Beine und üppiger Busen machten eine Schönheit aus. Körperfülle (heute würden wir sagen Übergewicht) war ein Statussymbol, sie zeugte von einem Überfluss an Nahrung und war damit ein Zeichen des Wohlstandes.
Ein reines Zuckerlecken (pun intended) war das Schönsein aber dennoch nicht. Dazu brauchte es nämlich auch eine Wespentaille, die durch das Tragen eng geschnürter, gesundheitsschädlicher und überaus schmerzhafter Korsette erlangt wurde.

Unabhängig von den jeweils angesagten Körperformen galt für all diese mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Schönheiten ein weiteres essentielles Ideal: Blasse, weiße Haut. Bei Männern wie bei Frauen zeugte dies von Müßiggang und Wohlstand, im Gegensatz zur bäuerlichen Bevölkerung, die bei jeder Witterung im Freien arbeiten musste. Sonne sollte um jeden Preis gemieden werden um die noble Blässe zu erhalten. Vor allem im 18. Jahrhundert – der Zeit von Pomp und Puder – wurde außerdem mit dicken Schichten aus weißem Puder in Gesicht und Dekolleté nachgeholfen.
Die „gesunde Bräune“ – der heutige unzählige Office-Arbeiter mit Solarium und Bräunungsspray nachhelfen –  hat sich erst in den 1970er Jahren als Ideal der Schönheit etabliert.

Soziales und Politisches
Aber auch sozio-politische Bedingungen, Bewegungen oder Veränderungen können Einfluss auf Schönheitsideale haben.
Die androgynen weiblichen Schönheiten der 20er Jahre etwa – extrem schlank, knabenhaft, ohne weibliche Rundungen und mit flachen Brüsten (die zur Not mit einem Gürtel flachgedrückt wurden) – standen für Emanzipation, für ein neues weibliches Lebensgefühl, für die Befreiung der Frauen aus der rigiden und ausschließlichen Rolle als Hausfrau und Mutter. Frauen wollten arbeiten, wollten finanziell unabhängig sein – und kämpften mit Erfolg für diese Ansprüche. Sie wollten den Männern in ihren Rechten, in ihrem Leben gleich sein – Bestrebungen die sich nicht nur auf die Mode, sondern auch auf körperliche Ideale auswirkten.

In den 1930er und 40er Jahren änderte sich mit der Machtergreifung Hitlers nicht nur die gesellschaftliche Rolle der Frau, auch die körperlichen Ideale passten sich der vorherrschenden politischen Ideologie an. Eine schöne Frau war nun blond, schlank aber mit einer weiblichen Figur (einem „gebärfreudigen Becken“) – ihre wichtigste Aufgabe war schließlich die Fruchtbarkeit, ihre wichtigste Rolle, die der Mutter.

Nach den Jahren des Hungers, des Leides und der Entbehrungen waren in den 1950igern Glamour und weibliche Rundungen angesagt. Schönheit, das war Konfektionsgröße 40, schicke Kleidung und reichlich Make-Up. Stars wie Marilyn Monroe lebten diese Ideale vor.

Der spätmoderne Körper als Leistung
Und heute? Heute sind unsere Schönheitsideale geprägt von kapitalistischer Marktwirtschaft und Leistungsgesellschaft.
Ein schöner Körper das ist harte Arbeit. Schönheit erfordert Disziplin, Selbstkontrolle, ständige Selbstoptimierung, sie ist ein Lebensprojekt. In unserer postindustriellen Leistungsgesellschaft ist auch Schönheit eine Leistungsanforderung.
Wer aktiv und erfolgreich ist, der weiß seinen Körper zu managen. Wer seinen Körper zu managen weiß, ist aktiv und erfolgreich. Ein schlanker, jugendlicher, trainierter Körper steht für Ausdauer, Disziplin, Leistungsbereitschaft, für Fleiß und Perfektionismus. – Die ökonomischen Prinzipien der Gegenwart gelten auch für unsere Körper.
Übergewicht hingegen – so die gemeinhin gültige Leseart –  ist ein Zeichen von Trägheit, von einem Mangel an Disziplin und Ausdauer. Ein übergewichtiger Körper verkörpert im Wortsinn die Todsünde der spätmodernen westlichen Gesellschaft: Sich gehen lassen.

Dabei sind Idealgewicht, Normal- und Übergewicht eine Frage der Definition. In den vergangenen Jahrzehnten wurde schlank immer weniger, die Obsession mit der Figur immer mehr.
Unter Diät etwa wird erst seit den 1920er Jahren eine kalorienreduzierte Kost, mit dem Ziel das Gewicht zu reduzieren, verstanden. Das medizinisch definierte Idealgewicht betrug 1988 um fast 10% weniger als noch 1960. Trug eine Frau in den 1940er oder 50er Jahren Konfektionsgröße 40 bis 42, entsprach sie absolut dem angesagten Ideal. Heute ist sie nach WHO-Kriterien übergewichtig.

Omnipräsente Ideale
Vorgelebt und vorgeführt wird uns die so strikt definierte körperliche Perfektion in allgegenwärtiger Präsenz.
Durch Blockbuster-Schönheiten und Werbemodels haben wir das Ideal ständig vor Augen. Ratgeber in Magazinen, Sozialen Medien und Büchern lassen uns die Problematiken des eigenen Körpers ebenso wenig vergessen, wie Werbungen für Produkte die Abhilfe versprechen (Anti-Aging Kosmetika, Light Produkte usw.) Schon als Kinder prägen vollbusige, dünne Barbypuppen und muskelbepackte Actionfiguren unsere Vorstellung davon, was schön und erstrebenswert ist.
Allerdings: Die Models auf den Plakatwänden sind retuschiert, die Körperformen einer Barby natürlich gar nicht möglich. Wir orientieren uns an Vorbildern die nicht real und in der Realität auch kaum zu erreichen sind.

Adonis
Zwar gilt alles bisher Gesagte im Großen und Ganzen für Frauen wie für Männer, für „das schöne Geschlecht“ aber war der Druck gesellschaftlicher Schönheits- und Schlankheitsideale bislang immer deutlich stärker. Das aber scheint sich nun zu ändern. Seit den 1980er Jahren liegt auch der klar definiert schöne Mann zunehmend im Trend. Wohldefinierte Muskeln, glatte (enthaarte) Haut, volles Haar, Sixpack und stattliche Körpergröße, die Vorgaben der idealen Schönheit werden auch für Männer immer enger.
So kommt mittlerweile auch keine Kosmetiklinie mehr ohne spezielle Männerprodukte aus, Essstörungen sind auch als männliche Erkrankung im Vormarsch. Gleichberechtigung also offenbar auch im Kult um den Körper? Es sieht ganz danach aus.

Spieglein, Spieglein an der Wand?
Von der Idee, dass Schönheit Erfolg verheißt, war bereits die Rede. Eine Vorstellung, die nicht gänzlich unbegründet ist. Sozialpsychologische Untersuchungen belegen, dass als schön wahrgenommene Menschen tatsächlich oft (unbewusst) bevorzugt behandelt werden. Hübsche BewerberInnen bekommen eher den Job, hübsche KellnerInnen bekommen mehr Trinkgeld, vom Erfolg in der Partnersuche ganz zu schweigen.

Eine Frage aber habe ich mir, im Zuge des Recherchierens und Schreibens, dieses Textes immer wieder gestellt: Beeinflussen, man möchte fast sagen trüben, diese gesellschaftlich indoktrinierten Ideale unseren Blick auf den eigenen Körper viel mehr als unseren Blick auf andere? Gehen wir mit uns selbst vielleicht viel härter ins Gericht als mit unseren Lieben und Geliebten? Stürzen uns „Problemzonen“ und vermeintliche Unperfektion am eigenen Leib in Minderwertigkeitskomplexe und Unzulänglichkeitsgefühle wo wir sie bei anderen kaum wahrnehmen?

Und noch etwas sollten wir in der Diskussion um Schönheit nicht vergessen: Schönheit ist nicht gleich Attraktivität! Schönheit ein ästhetischer Begriff, sie sagt nicht zwingend etwas darüber aus, ob wir jemanden auch anziehend finden. Ist ein Mensch – gemäß aller gültigen Ideale –  schön, bedeutet das nicht unbedingt, dass er uns persönlich berührt, dass wir ihn anziehend finden. Das ist Attraktivität – und die liegt offenbar deutlich mehr im Auge des Betrachters.

Lektüre zum Thema:

  • Waltraud Posch, Projekt Körper. Wie die Kultur um die Schönheit unser Leben prägt. (Frankfurt am Main 2009).
  • Umberto Eco, Die Geschichte der Schönheit. (München 2004).
  • Konrad Paul Liessmann, Schönheit. (Wien 2009).
Martina Nothnagel