Die Angst vor dem Anderen – Rassismus, Antisemitismus und Rechtspopulismus. Ein Essay aus gegebenem Anlass

Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus – die Angst vor dem Fremden hat viele Namen, sie hat viele Gesichter. Man muss keine Historikerin sein, um sich dieser Tage zu fürchten. Angst ist in meinen Augen durchaus angebracht in Österreich und in Europa. Aber nicht die Angst vor dem Fremden, sondern die Angst vor dem, was vor unser aller Augen im Herzen unserer Demokratie passiert.

Das Rezept ist einfach: Man nehme eine verunsicherte, verängstigte Bevölkerung. Wähle irgendwelche Fremde und Andere aus und schiebe ihnen die Schuld zu, an allem was die Bevölkerung verunsichert und verängstigt. Dann versichere man der Bevölkerung immer wieder, sie seien Teil einer homogenen, überlegenen Volksgruppe. Die gewählten Fremden dagegen stelle man als minderwertig und gefährlich dar. Dabei hetze man ständig mit knackigen Parolen. Und Voila: Fertig ist ein explosiver Cocktail, geebnet ist der Weg an die Macht.
Dieses Rezept ist die Basis für Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus, Rechtsextremismus und Rechtspopulismus. Zwar unterscheiden sich diese Geisteshaltungen in Details und Feinheiten (geht es gegen einen anderen Glauben, eine andere Kultur, gegen andere Völker? Operiert man innerhalb einer Demokratie oder dagegen?), Menschenverachtung und gefährliche Einfältigkeit sind ihnen aber allen gemein. Außerdem verschwimmen die begrifflichen Grenzen in der Praxis immer wieder. Beispielsweise wenn rechtspopulistische Politiker antisemitische Lieder singen.

Rechtspopulismus und Rassismus
Die politische Strömung des Rechtpopulismus vertritt die Überzeugung, „das Volk“ (definiert über die Nation, über eine gemeinsame Abstammung und gemeinsame Kultur) würde vom Establishment (also einer kleinen, mächtigen Elite) ausgenutzt und durch Andere, Fremde (Immigranten, Asylsuchende, aber auch Migranten in zweiter oder dritter Generation) bedroht und infiltriert.
„Wir geben EUCH zurück, was SIE euch nehmen“, wettert beispielsweise die FPÖ in ihrem Wahlprogramm 2017 gegen das Establishment. Andere Parolen, wie „Die Islamisierung gehört gestoppt“ wiederum bedienen sich der Ängste vor Fremden und Anderen.

Rassismus und Xenophobie (Fremdenfeindlichkeit) – heute die Basis vieler rechtspopulistischer Ideologien und Parolen – definieren ihre Feindbilder sehr breit. Rassismus kann viele Gesichter haben. Kann ganz unterschiedliche Merkmale und Kriterien relevant setzen um die Grenze zwischen „Eigenem“ und „Fremdem“ zu ziehen. Kann unzählige Gründe erfinden, warum das Fremde minderwertig sei. Hautfarbe, Glaube, Abstammung, Nationalität, Kultur, soziale Klasse – alles schon da gewesene Kriterien.
Zurzeit liegt der kulturelle Rassismus – also Kultur und Abstammung als Kriterien rassistischer Konstrukte – wieder hoch im Kurs. Dabei wird Kultur als etwas Statisches, klar Abgrenzbares verstanden. Kulturelle Zugehörigkeit wird über die Abstammung hergeleitet. Man wird also mit einer Kultur geboren, die man dann, der Augenfarbe oder Körpergröße gleich, unveränderlich ein Leben lang „hat“ und ebenso unverändert an seine Kinder weitergibt.
Diese Sichtweise erklärt, warum beispielsweise in Österreich geborene, aufgewachsene und sozialisierte Kinder allein aufgrund ihrer Vorfahren – und nicht aufgrund ihrer tatsächlichen kulturellen Praktiken – dem „islamischen Kulturkreis“ zugeordnet werden.

All diese Ideologien vereinfachen und verallgemeinern – sie scheren völlig Verschiedenes über einen Kamm. Allein aufgrund der (vermeintlichen) Zugehörigkeit zu einer (vermeintlich) homogenen Gruppe werden Individuen bestimmte Eigenschaften und Charaktermerkmale zugeschrieben. Dem Eigenen die guten Eigenschaften, dem Fremden die schlechten.

Als Mensch mit gesundem Menschenverstand weiß man, dass eine solche kollektive Abwertung anderer jeder Grundlage entbehrt. Als Historiker weiß man außerdem, dass auch der Glaube einem homogenen Volk, einer homogenen Kultur angehören zu können jeder Grundlage entbehrt. Die Geschichte der Menschheit ist eine Geschichte der Veränderung, der Adaption, der Vermischung – sowohl genetisch als auch kulturell.

Alte Ängste
Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sind dabei allerdings nichts Neues: In der Antike unterschied man zwischen edlen Griechen oder Römern und dummen, rüpelhaften Barbaren. Auch Judenfeindlichkeit und Antisemitismus ist weder eine Ideologie die von den Nationalsozialisten erfunden wurde, noch eine die mit dem Dritten Reich untergegangen ist. Juden hatten schon in der Antike unter Repressalien zu leiden, im Mittealter wurden sie immer wieder Opfer von Hass und Gewalt.
In der frühen Neuzeit erklärte man unterschiedliche soziale Klassen durch rassistische Argumentationen. Der Adel sah sich den Bauern allein aufgrund seiner edle Abstammung als überlegen an.

Feindbild Moslem
Ein Feindbild das derzeit hoch im Kurs liegt, das von Rechtspopulisten in ganz Europa schamlos konstruiert wird und offenbar bei einer verunsicherten Bevölkerung großen Anklang findet, ist das der Moslems bzw. des „Islam“. „Daham statt Islam“ oder „Heimatliebe statt Marokkaner-Diebe“ reimte dazu beispielsweise die FPÖ.

Der Konflikt zwischen Islam und christlichem Europa ist allerdings ein sehr alter, das Feindbild Islam keine Erfindung moderner Rechtspopulisten. Über Jahrhunderte hinweg waren Moslems (Araber, Osmanen, Türken) als politische und militärische Rivalen eine ernsthafte Bedrohung für europäische Machthabende. Dies führte immer wieder zu kriegerischen Auseinandersetzungen aber auch zu gegenseitigem Austausch. Deutsche Wörter wie Zucker, Kaffee, Schal oder Sofa beispielsweise haben ihren Ursprung in der arabischen Sprache. Aber auch die Einführung der Null und damit die Grundlage für die moderne Mathematik ist arabischen Gelehrten zu verdanken. Null Toleranz also?

Zum „Feind im Inneren“ wurden Moslems erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: In den 1960er Jahren kamen im Zuge der Gastarbeitermigration auch zahlreiche türkische Arbeitskräfte nach Europa. Waren diese Gastarbeiter zunächst noch willkommene, dringend benötigte Arbeitskräfte, wurden sie nach den wirtschaftlichen Problemen der frühen 1970er Jahre zu Konkurrenten am Arbeitsmarkt – die außerdem mehr als nur Gäste sein wollten, sie wollten gerne bleiben.
Verstand man in den 1960er und 1970er Jahren unter „Ausländern“ und „Südländern“ noch Italiener, Spanier, Griechen und Türken im Allgemeinen, änderte sich das in den 1980er Jahren zunehmend. Immer mehr wurde nun zwischen kulturnahen und vermeintlich kulturfernen Ausländern unterschieden. Gehörte ein Spanier beispielsweise noch zum (europäischen) „Wir“, tat das ein Moslem nicht mehr. In den Erzählungen und Parolen der Rechtspopulisten waren aus „Gastarbeitern“, „Türken“ und schließlich „Moslems“ geworden. Spätestens seit den 2000er Jahren wurde „der Islam“ und alle damit in Verbindung Gebrachten zu dem Feindbild schlechthin erklärt.
Nur allzu oft wird dabei übersehen, dass es sehr wohl möglich ist, eine reflektiert-kritische Haltung gegen gewisse Glaubenspraktiken und Ausprägungen des Islam einzunehmen, ohne dabei antimuslimischen Rassismus betreiben zu müssen. (Dass es um die Rechte und die Würde von Frauen auch im fundamentalistischen Christentum nicht besonders gut bestellt ist, sei hier nur am Rande erwähnt.)

Warum?
Warum sind solche Gedanken, ist eine auf solchen Vorstellungen basierende Politik so erfolgreich? Und erfolgreich ist sie in der Tat, wie die österreichische FPÖ, die deutsche Afd, die belgische Vlaams Belang, die italienische Lega Nord oder die französische Front National zeigen.

Mögliche Erklärungen dafür sind sicherlich vielfältig und komplex, lassen sich aber auf ein paar simple Faktoren herunterbrechen: Die Menschen haben Angst, sie sind verunsichert – und erliegen der Verlockung einfacher Lösungen, einfacher Sündenböcke. Wie wunderbar ist es doch einer überlegenen Volksgruppe und Kultur anzugehören. Das Selbstwertgefühl ist gestärkt. Ein Schuldiger ist gefunden. Alles ist klar, ohne das eigene Denken groß bemühen zu müssen. Und wo eine einfache Erklärung, da eine einfache Lösung: Der Schuldige muss weg und alles wird gut. 

Dass viele Menschen verunsichert sind und Angst haben ist dabei durchaus verständlich. Zwar scheinen die schlimmsten Folgen der im Jahr 2008 ausgelösten weltweiten Wirtschaftskrise weitgehend überstanden, aber nach wie vor ist die Arbeitslosigkeit vielerorts hoch. Die Preise steigen, die Löhne ziehen nicht nach. Man bangt um den Arbeitsplatz, fürchtet sich vor Armut und sozialem Abstieg, vor allem auch in Zeiten in denen das sozialstaatliche Sicherungsnetz zu versagen droht.  Gleichzeitig erlebt man jeden Tag wie ungerecht die Verteilung von Wohlstand doch ist: Manche haben so viel, wo andere mit so wenig auskommen müssen. Dass es unter diesen Umständen zusätzlich Angst macht, große Massen an Flüchtenden aufnehmen zu sollen, ist ebenfalls nachvollziehbar. Die Herausforderungen sind komplex, die Lösungen können nicht einfach sein.
Diese Unsicherheit, Unzufriedenheit und Überforderung nützen gewiefte Politiker bereitwillig aus um ihre Macht zu zementieren. 

Klingt das vertraut? Sollte es auch: Schließlich waren die weltweite Wirtschaftskrise 1929 und die allgemeine Unzufriedenheit der Bevölkerung die Hauptursachen für das Erstarken des Nationalsozialismus und seiner Rassenideologie.

Das heißt?
Auch wenn rassistisches, fremdenfeindliches oder antisemitisches Gedankengut nichts Neues ist: Das macht es nicht besser. Es erklärt vielleicht manches, entschuldigt aber nichts. Außerdem gab es immer schon, gleichzeitig mit rassistischen Agitatoren und blinden Mitläufern, auch mutige und beherzte Menschen, die diese menschenverachtenden Gedanken und Praktiken als das erkannten was sie waren. Die dagegen eintraten. Menschen also, wie wir sie heute in Österreich, in Europa so dringend brauchen.

Lektüre zum Thema:

  • Yasemin Shooman, „ … weil ihre Kultur so ist.“ Narrative des antimuslimischen Rassismus. (Bielefeld 2014).
  • Wulf D. Hund, Rassismus. (Bielefeld 2007).
  • Monika Schwarz-Friesel, Aktueller Antisemitismus. Ein Phänomen der Mitte? (Berlin 2010).
Martina Nothnagel