Das F*-Wort

Man kann mir bestimmt nicht vorwerfen, eine Verfechterin des Patriarchats zu sein. Männer und Frauen sollten gleichgestellt sein, für diese Überzeugung stehe ich ein. Deshalb aber zu postulieren, ich sei Feministin? Ich weiß nicht recht, da zögere ich. Und bin damit nicht allein: Es gibt heute mehr selbstbestimmte, selbstbewusste Frauen als jemals zuvor. Feministinnen gibt es deutlich weniger.
Feminismus ist „das Wort mit dem geringsten Sex-Appeal“, bemerkt Sandra Konrad (must read!). Sie hat recht, sexy ist das nicht. Im Gegenteil: Feminismus, das klingt verkniffen, humorlos, prüde, autoritär. Die Männer gehen in Abwehrhaltung, aber auch viele Frauen wollen damit nichts zu tun haben. „Wer will schon dem Stereotyp der übellaunigen, radikalen, sexuell vertrocknenden und männerhassenden Kampf-Emanze entsprechen?“, wie Sandra Konrad fragt. Sie nicht. Ich auch nicht.
Ein Stereotyp ist aber eben ein Stereotyp und nicht die Wirklichkeit. Was hat es also tatsächlich auf sich mit dem Feminismus?

Oben ohne?
Darf ich den pinken Pulli anziehen? Das hautenge Top? Die halsbrecherischen High-Heels? Darf ich mich – wie Emma Watson – oben ohne fotografieren lassen? Darf ich zuhause putzen? Ist bügeln erlaubt? – Ich denke, einer der Gründe dafür, warum viele Frauen zögern, sich als Feministin zu bezeichnen ist genau diese Unsicherheit. Darf ich das als Feministin?
Was heißt Feminismus eigentlich genau? Die Autorin (und Feministin) Caitlin Moran hat eine recht simple Definition gefunden. Sie hat einen Feminismus-Schnelltest entworfen:
A)   Haben Sie eine Vagina?
B)   Möchten Sie über sie selbst bestimmen?
Herzlichen Glückwunsch! Sie sind eine Feministin.

Ich habe ein sonnenklares Testergebnis (Juhu, ich bin Feministin!) und finde diesen Zugang durchaus sympathisch. Halten wir uns an diesen Test, gibt es wohl nur sehr wenige Frauen, die keine Feministin sind. Allerdings ist Feminismus, so verstanden, auch exkludierend. Wer einen Penis hat, ist schon mal sicher nicht dabei.
Etwas komplexer kann Feminismus definiert werden als „politische Bewegung, die für Gleichberechtigung, Menschenwürde und die Selbstbestimmung von Frauen eintritt.“
Feminismus muss aber nicht notwendigerweise politischen Aktivismus bedeuten. Es gibt auch andere Definitionen. Feminismus kann ebenso als „Einstellung“, als „Bewusstseinsprozess“ oder als „Entscheidung“ verstanden werden.
Generell gilt: Dem Feminismus geht es um soziale, politische und ökonomische Gleichheit der Geschlechter. Feminist_innen fordern eine Gesellschaft, in der Männer und Frauen ebenbürtig sind.
Für mich ist damit klar (auch auf die Gefahr hin, dass das jetzt unsexy ist): Ich bin tatsächlich eine Feministin.

Zwei Seiten der Feminismus-Medaille
Einerseits ist Feminismus – oder sagen wir lieber, die Gleichberechtigung und Gleichbehandlung von Männern und Frauen – kein gesellschaftliches Randthema mehr. Derartige Missstände sind alltäglicher Bestandteil politischer und medialer Debatten. Gleichstellungspolitik und Gender-Mainstreaming gehören gewissermaßen zum guten Ton. Selbst jene, die eigentlich lieber an patriarchalen Strukturen festhalten würden, heucheln Interesse und schützen Engagement vor. (Ja, sogar eine unverhohlene Sabotage des Projekts Geschlechtergleichheit, wie sie in Österreich dieser Tage stattfindet, kommt nicht ganz ohne rhetorische Kosmetik aus.)
2017 erklärte das US-Wörterbuch Merriam-Webster „Feminismus“ zum Wort des Jahres. Nicht zuletzt durch die #metoo Kampagne erlebte der Feminismus-Begriff damals einen Boom.

Andererseits ist Feminismus heute verpönt. Viele, vor allem auch junge Frauen distanzieren sich davon. Gender-Themen sind kein Problem. Das klingt unverfänglich, vage und im schlimmsten Fall langweilig. Mit dem Feminismus ist das aber offenbar etwas anderes. Das F*-Wort garantiert Abwehrreaktionen oder gar Anfeindungen. Während einem das „Gender-Argument“ schon mal weiterbringen kann, hat frau mit dem Feminismus eher kein Leiberl. Auch bei vielen Geschlechtsgenossinnen nicht.
Warum, frage ich mich, ist Feministin so ein Unwort?

Lästig und brandaktuell
Ein immer wieder vorgebrachtes Argument lautet, Feminismus sei heutzutage nicht mehr zeitgemäß. Dem ist leider nicht so. Das Ziel einer Gesellschaft, die beide Geschlechter ebenbürtig behandelt ist offensichtlich noch (lange) nicht erreicht. Wer Feminismus versteht, versteht auch, dass dessen Anliegen weder überholt noch überflüssig sind.

Feminismus bedeutet – heute wie früher – eine Veränderung der Gesellschaft zu fordern: Eine Umverteilung der Machtverhältnisse, den Aufbruch asymmetrischer Strukturen, einen Wandel normativer sozialer Werte. Es bedeutet, Rechte einzufordern, die uns Frauen  nicht zugestanden werden. Es bedeutet, auf Missstände hinzuweisen, für die es vielleicht keine simplen, bequemen Lösungen gibt.
Das kann ungemütlich, mühsam und lästig sein – selbst für jene, die theoretisch nichts gegen eine Gleichstellung von Männern und Frauen einzuwenden haben. Für jene, die noch nicht einmal diese theoretische Vorstellung teilen, sind derartige Forderungen naturgemäß ein Angriff auf ihr Weltbild und Selbstverständnis. Kein Wunder also, dass die Aussage „Ich bin Feministin“ Abwehrreaktionen hervorruft.

Der Mann: Freund oder Feind?
Und dann ist da noch die Sache mit den männerfressenden Kampf-Lesben. Stereotype und simple, wenngleich eklatante, Unwissenheit machen Feminismus endgültig zum Wort mit dem geringsten (Sex-)Appeal. Damit ist auch erklärt, warum feministische Anliegen gleich viel weniger kontrovers sind, wenn sie in einer „Gender-Verpackung“ daherkommen. Die Mähr vom Feminismus als lesbische, männerverachtende und lustfeindliche Bewegung ist weit verbreitet – und kompletter Unsinn.
Feminismus hat nichts mit sexueller Orientierung zu tun. Ich kann für gleiche Rechte beider Geschlechter einstehen, egal ob ich homo-, bi- oder heterosexuell bin. Und warum bitte, sollen Feministinnen männerfeindlich oder prüde sein? Wenn eine Frau ebenbürtig behandelt werden will und, mit Caitlin Moran gesprochen, über ihre Vagina selbst bestimmen will, heißt das doch nicht, dass sie keinen Spaß an Sex (mit Männern) hat. Sicher, es gibt auch Frauen, denen die männliche Hälfte der Bevölkerung verhasst ist. Nur, sind das keine Feministinnen, das sind Sexistinnen.
Der Feminismus richtet sich nicht gegen Männer. Er richtet sich gegen die Gesellschafts-ordnung des Patriarchats.
Der Feminismus fordert Gleichheit und Freiheit – für alle. Frei sind nämlich auch die Männer nicht: Als Mann in einer von Männern dominierten Gesellschaft zu leben, bedeutet keineswegs, dass jeder Mann tun kann, was er möchte. Oder, dass er sein kann wer will. Auch mann muss klar definierte Rollen erfüllen, muss stereotypen Zuschreibungen entsprechen und wird durch hegemoniale Vorgaben reguliert. „Die Vision des Feminismus ist nicht eine weibliche Zukunft. Es ist eine menschliche Zukunft. Ohne Rollenzwänge und Machtverhältnisse.“, sagte dazu Johanna Dohnal, die erste Frauenministerin Österreichs. Ich finde sie hat das wunderbar auf den Punkt gebracht.

Having the balls to be a feminist
Feminismus – ihn zu vertreten und zu leben – ist eine beachtliche Herausforderung: Es ist nicht immer einfach, zu seinen Überzeugungen zu stehen und dabei in Kauf zu nehmen sich unbeliebt und unsexy zu machen. Es braucht eine gute Portion Mut, eigene Bilder zu schaffen und für sie einzustehen, anstatt dem Bild entsprechen zu wollen, das Männer von uns haben. Für mich gehört zu dieser Herausforderung aber auch, den zweiten Teil von Catlin Morans Aufforderung nicht aus den Augen zu verlieren. Sie sagt, „es geht nicht nur ums Gleichsein – es geht auch darum, dass es wieder Spaß machen soll, eine Frau zu sein.“ Ich denke, damit ist die Frage, was Feministinnen dürfen oder nicht dürfen beantwortet. Welchen Sinn macht denn der Feminismus, wenn wir uns dadurch nur neue Verhaltensregeln auferlegen? Wenn wir uns bloß durch neue Normen gleichschalten?
Wenn sich also eine Feministin wie Emma Watson mit nackten Brüsten fotografieren lassen möchte, sehe ich da keinen Widerspruch. Wenn ich netterweise putze, tut das meinem Feminismus keinen Abbruch. Ich finde, jede Frau sollte selbst entscheiden, wer und wie sie als Frau sein möchte.
Wenn wir auf Spaß und Lebensfreude nicht vergessen, gelingt es möglicherweise auch besser, den Feminismus als das zu leben, was er doch eigentlich sein sollte: Ein gemeinsames Projekt von Frauen und Männern.

Das alles halte ich für enorm wichtig, sonst hätte ich nicht darüber geschrieben. Es sind aber nicht irgendwelche Begriffs-Scharmützel, die mir am Herzen liegen. Es geht nicht darum, ob jemand sich nun als Feministin oder als Feminist bezeichnet. Was wirklich zählt, ist unsere Geisteshaltung, unser Verhalten und unsere Handlungen. Zumindest sehe ich das so.

Lektüre zum Thema:

  • Sandra Konrad, Das beherrschte Geschlecht. Warum sie will, was er will. (München 2018).

  • Feminismus Seminar (Hrsg.), Feminismus in historischer Perspektive. Eine Reaktualisierung. (Bielefeld 2014).

  • Ulrike Prattes, Junge Männer und Feminismus. Ein sozialanthropologischer Blick auf Männlichkeitskonstruktionen im Kontext Österreichs. (Wiesbaden 2011).

  • www.zeit.de/2012/02/Feminismus-Caitlin-Mora

Martina Nothnagel