Ins neue Jahr gesudert

Wer sich hierzulande viel in öffentlichen Räumen bewegt (und gewillt ist, seiner Umgebung etwas Aufmerksamkeit zu schenken), der kommt nicht umhin es immer wieder zu bemerken: Wir sind schon wahre Meister des Suderns.
Im Zug, im Wartezimmer, im Kaffeehaus, auf der Straße, wo auch immer einen fremde Gesprächsfetzen umwehen: Irgendwas hat jeder und jede zu monieren. Besonders beliebt sind offenbar die Themenbereiche Politik, Arbeit, Körpergewicht und natürlich das Wetter zu jeder Jahreszeit.  (Das Thema Klima wäre in der Tat beklagenswert, aber das ist eine andere Ebene des Diskurses.) Vielleicht lag es gestern wirklich am Wetter, aber da ist es mir wieder eklatant aufgefallen, das allgegenwärtige Gesudere.

Auch ich bin da – so viel Ehrlichkeit muss sein – keine Ausnahme. Möglicherweise spricht hier meine Sozialisation, als jemand der den Großteil seines Lebens in und um Wien verbracht hat, aber das hat schon was für sich. Ich sudere gerne. Ist das nicht die durchaus wertvolle Freiheit, düstere Gedanken artikulieren zu dürfen? Man fühlt sich erleichtert, sozial eingebunden und verstanden. Das konstant sonnige Gemüt ist mir suspekt. Ich frage mich dann ständig, wird hier überspielt, verdrängt, geschönt?

Eine erhebliche Einschränkung hat meine Affinität zum Sudern allerdings: Wenn nämlich sonst gar nichts mehr passiert. Mit dem Jammern ist es, finde ich, wie mit einem Gläschen Wein. In kleinen Dosen genossen, entspannend und gesellig. Im Übermaß konsumiert, destruktiv und unappetitlich. Ergänzend zu hingebungsvollem Gejammer braucht es eben auch die Bereitschaft alternative Sichtweisen zu probieren, ernsthafte Versuche etwas an den besuderten Umständen zu verändern und den Willen sich zumindest etwas Lebensfreude abzuringen. Wenn es nicht klappt, können wir danach ja wieder sudern.

Martina Nothnagel