Prinzessin auf der Erbse?

Die Gleichstellung von Frauen und Männern ist in Österreich (noch) nicht erreicht. Eine hinreichend belegte Tatsache, die für viele nicht gerade Breaking News ist. Für andere aber ist das durchaus eine neue Erkenntnis. Diese Wissenslücke macht mir Sorgen.
Keine Frage, in Sachen Geschlechtergerechtigkeit ist schon vieles erreicht. Wenn allerdings weitgekommen mit angekommen verwechselt wird, finde ich das bedenklich. Mit dieser Sorge bin ich keineswegs allein, wie mir erst unlängst wieder bestätigt wurde: Die Alpbach-Dialoge im Wiener Konzerthaus widmeten vor ein paar Wochen einen Abend der Frage „Die Gleichstellung der Gender: Wie sie gestalten, wie sie erreichen?“. Eine Frage, die auch mich brennend interessiert. (Über das F-Wort haben wir ja schon gesprochen.) Moderiert von Sophie Rendl, diskutierten Heike Mensi-Klarbach (Forscherin am Institut für Gender und Diversität in Organisationen der WU, seit kurzem Head of Group Human Resources, Raiffeisen Bank International AG) und Olivera Stajić (Redakteurin und Kolumnistin, Der Standard) und ein buntgemischtes Publikum. Viele spannende Aspekte wurden dabei angesprochen. Darunter eben auch jenes Thema, das mich so beschäftigt: Die Tatsache, dass das was – für manche – schon erreicht ist, dazu verleitet, zu glauben es sei schon alles erreicht.
Diesem Trugschluss erliegen Männer (die das auch gar nicht „böse meinen“, denen man also Naivität, aber sicher nicht Misogynie vorwerfen kann), aber auch Frauen. Privilegierte, gut situierte, oftmals junge Frauen, die sich einlullen lassen von einer individuell feinen Lebenslage.
Das Problem der Hausarbeit löst die Putzfrau (-frau!)? Das Problem Kinderbetreuung löst die Tagesmutter (-mutter!) oder die schlecht bezahlte Kindergärtnerin (-in!)? Das Problem der Pflege der alternden Eltern löst die miserabel entlohnte rumänische 24-Stunden Pflegerin (-in!)? Das Problem der kaum honorierten Mutter-Jahre löst ein Papa-Monat? Das Problem der Finanzierung des Lebensstandards löst das dicke Gehalt des Mannes? Das Problem der ungleichen Chancen am Arbeitsmarkt lösen eine Handvoll Quotenfrauen?
Wer glaubt Geschlecht spielt in Sachen Lebensgestaltung, Karriere, Macht und Wohlstand keine Rolle mehr, der/die irrt. Ein solcher Trugschluss kann als Beleg dafür gelesen werden, wie viel sich in den vergangenen Jahrzehnten getan hat. Es ist aber auch eine gefährliche Ignoranz der – statistisch eindeutig belegten – Tatsachen und aktuellen Entwicklungen.
Da sind traditionelle Werte und daraus resultierende Rollenvorstellungen, die im Privaten, vor allem aber durch von Politik und Wirtschaft vorgegebene Rahmenbedingungen tradiert und zementiert werden. Da sind ein deutlicher Gender Pay Gap und gläserne Decken vor den Chefetagen. Da ist das Faktum, dass weiblich konnotierte Tätigkeiten (gesellschaftlich wie finanziell) deutlich weniger Wertschätzung erfahren. Da sind Väter, die sich aus Angst vor Imageverlust und Karriereknicks nicht trauen einen Papa-Monat in Anspruch zu nehmen. Da sind Familien, die Väter-Karenz gar nicht in Erwägung ziehen, weil der Papa mehr verdient.
Und da ist die Altersarmut von Frauen – ein Problem, das vor allem viele privilegierte, junge Frauen offenbar gerne übersehen. Ein Dasein als Yummy Mummy – so verführerisch es auch sein mag – wird von unserem Pensionssystem hart bestraft. Frauen sind in Österreich doppelt so häufig von Altersarmut betroffen wie Männer. (2018 erhielt die Hälfte aller Frauen eine Pension unter 870 Euro.) Der Grund dafür: Gender Pay Gap auch bei Vollzeitarbeit. Frauen verdienen weniger und erhalten somit auch weniger Pension. Für Mütter rächen sich außerdem fehlende Arbeitsjahre durch Karenz und Teilzeitarbeit. Durch Einkommen und Pension des Familienvaters/Ehemannes kann das natürlich ausgeglichen werden – wenn er dann noch da ist. Immerhin werden über 40% aller Ehen in Österreich geschieden.

Mit anderen Worten: Es gibt noch viel zu tun. Es stimmt, wir (als Frauen, Männer, Menschen) haben heute so viele Optionen und Rechte wie nie zuvor. Darüber dürfen wir uns freuen, das sollten wir genießen. Tatsächliche Gleichheit herrscht deswegen aber noch lange nicht. Das dürfen wir weder vergessen noch übersehen. Sonst kommen wir nicht weiter. Sonst gelingt es vielleicht nicht einmal, das bisher Erreichte zu bewahren.

Martina Nothnagel